Konzert am 12. Dezember 2015


Adventrede

Jesse Thoor
Und die Bewegtheit des Herrn ist ohne Groll und von großer Dauer.
Und seine Gerechtigkeit hört nicht auf, und seine Güte bleibt ewig.
Und darum entfernen wir gern die Bitterkeit, wie ein enges Gewand.
Und die Trauer legen wir ab, wie einen Mantel in Frühling.

Und mit viel Sorgfalt nehmen wir die Einsamkeit von unserer Stirn.
Und wir weisen unsere Aufmerksamkeit hin zu den einfachen Dingen.
Und wir verlassen uns auf das Dach, das keinen Regen durchlässt.
Und wir vertrauen dem Stuhl, der fest steht, und der uns trägt.

Und es kommen wieder zu uns die täglichen Wiesen und die Sonntage.
Und die Salamander mit den seidenen Strümpfen und goldenen Hemden.
Und auch die Lämmer und die Zicklein … meine gnädigen Freunde.

Und die Lieder der Hirten … und die Gebete der erwachenden Frauen.
Und es brechen die Tore auf … und es treten hervor die Erkennbaren.
Und sie stehen makellos da … und sie breiten ihre Flügel aus.

Konzert am 17.10.2015

Astern
Astern – schwälende Tage,
alte Beschwörung, Bann,
die Götter halten die Waage
eine zögernde Stunde an.

Noch einmal die goldenen Herden,
der Himmel, das Licht, der Flor,
was brütet das alte Werden
unter den sterbenden Flügeln vor?

Noch einmal das Ersehnte,
den Rausch, der Rosen Du –
der Sommer stand und lehnte
und sah den Schwalben zu.

Noch einmal ein Vermuten,
wo längst Gewissheit wacht:
Die Schwalben streifen die Fluten
und trinken Fahrt und Nacht.

Gottfried Benn (1886 – 1956)