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Eine lange Verbindung nach Marburg

Im Alter von 11 Jahren (1967) begann ich, in der Stadtallendorfer St. Michaelskirche, regelmäßig zur sonntäglichen Nachmittagsandacht die Orgel zu spielen. Pfarrer Josef Becker, selbst ein empfindsamer Hobby-Musiker, schenkte mir dann zu Weihnachten eine Schallplatte mit drei Bach‘schen Triosonaten, gespielt von Marie-Claire Alain (1926 – 2013). Kurze Zeit später erfuhren wir von einem Orgelkonzert dieser Starorganistin in der Lutherischen Pfarrkirche St. Marien in Marburg. Mit dem Plan, dieses Konzert zu besuchen, machte mein Vater mir eine riesige Freude. Die Pfarrkirche St. Marien war uns bis dahin unbekannt.

Wir erlebten ein sehr schönes Konzert, MCA spielte unter anderem die Tänze an eine indische Gottheit Ihres Bruders Jehan Alain. Dieses (heidnische?) Stück wurde in der Lokalzeitung „Oberhessischen Presse“ ziemlich verrissen, weil es nicht in eine evangelische Kirche gehöre. So war das eben Ende der Sechziger Jahre noch. Mein erster Orgellehrer Bezirkskantor Gerhard Blank, Kirchenmusiker an der katholischen Kugelkirche direkt nebenan, machte mich im Unterricht auf die Reihe „Stunde der Orgel“ aufmerksam, in der sich im wesentlichen Prof. Büchner, Gerhard Blank und Gerold Vorrath die wöchentlichen Orgelmusiken am Samstag teilten. Gerhard Blank begeisterte mich mit einem Bach‘schen Präludium und Fuge c-moll, daran habe ich noch eine ganz konkrete Erinnerung. Der angenehm voluminöse Orgelklang mit vornehmer Zurückhaltung in der Lautstärke durch die auch im Prospekt sichtbaren weiten Mensuren begeisterte mich. So motiviert wurde dieses Stück im Unterricht in der St. Elisabeth-Kirche in Kirchhain gearbeitet. Mit 16 Jahren war ich einer der jüngsten C-Prüflinge in Fulda. Für dieses Unternehmen bereitete mich Gerhard Blank gründlich vor. Neben dem Literaturspiel und dem liturgischen Orgelspiel nahmen Themen der Harmonielehre, Gehörbildung, Kirchenmusikgeschichte und kirchenmusikalische Gesetzgebung einen breiten Raum ein.

Ab 1975 nach meinem Abitur an der Stiftsschule St. Johann in Amöneburg, begann mein Kirchenmusikstudium als Student an der Hochschule für Musik Detmold, deren Kirchenmusikabteilung unter Prof. Helmut Tramnitz ganz ökumenisch ausgerichtet war. Als Mitglied der Detmolder Martin-Luther-Kantorei war ich, obwohl katholisch, mit der großen Liturgie eines lutherischen Hauptgottesdienstes nach der Agende 1 schnell vertraut. 1978 hatte ich bis zum sechsten Semester einige große Orgelstücke gearbeitet, so dass ich mich traute, Pfarrer Ter-Nedden zu fragen, ob ich mal eine „Stunde der Orgel“ übernehmen dürfe. Als „Köder“ diente eine vierhändige Programmauswahl gemeinsam mit einem chilenischen Freund und Kommilitonen Alejandro Reyes van Eweyk, heute Professor in Santiago de Chile. So gestalteten wir 1978 drei Abende erst den vierhändigen und dann jeder von uns einen Soloabend. Damals wurden 30 Minuten Orgelmusik gespielt, die im Anschluss im Gespräch mit den Zuhörern erläutert wurden. Gelegenheit und Anreiz, die im Studium gearbeiteten Stücke mit Öffentlichkeitsdruck aufführen zu können, hat mir sehr geholfen, Lampenfieber abzubauen. So habe ich meine Orgelprüfung im öffentlichen Hochschulkonzert am 26. Januar 1981 eher als Konzert denn als Prüfung erlebt.

Seitdem habe ich 1-2mal pro Jahr an der großen Schuke-Orgel konzertiert, das waren ungefähr 60 Abende. Hier fühl ich mich heimisch und bin dankbar, dass ich inzwischen auch als Ruheständler nach 41 Jahren Kantorenamt an der katholischen Pfarrkirche St. Laurentius in Ahrweiler Gelegenheit habe, an einer mir sehr vertrauten Orgel spielen zu dürfen. Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021- unsere Kirche und Orgel sind stark beschädigt – habe ich im November 2022 mit meinem Chor die langjährige kirchenmusikalische Arbeit mit einem Tagesausflug nach Marburg in einer Stunde der Orgel würdig beenden können.

Mit über 44 Jahren Mitwirkung bin ich eine(r) der „Urgesteine“ dieser schönen Reihe von Wochenschluss-Gottesdiensten geworden.

„Ad multos annos?“

Klaus-Dieter Holzberger, 2023, Dekanatskantor i.R.

Briefauszug Gabriel Dessauer

Ja, ich würde gerne mal wieder in der Luth. Pfarrkirche spielen! Das hatte da immer eine ganz eigene, sympathische Atmosphäre.

Ich glaube, es war 1978, ich war 22, hatte ein sogenanntes „Tramper-Ticket“, und wollte einfach mal deutsche Städte kennenlernen. So fuhr ich von München mal nach Marburg, diese Stadt sei so schön, sagten viele. Es war schon Abend, aber erstaunlicherweise war die Lutherische Pfarrkirche noch offen. Ich ging rein, niemand war drin, es war sicher schon nach 19 Uhr, ich hatte den Eindruck, dass man vergessen hatte, sie zuzusperren. So habe ich mich einfach im Altarraum flach auf den Rücken auf den Teppich gelegt und den Raum eingesogen. Ich lag da sicher eine halbe Stunde völlig ungestört. Es war herrlich! Das Erstaunliche ist, dass daraus ein Erlebnis geworden ist, an das ich mich auch noch vierzig Jahre später gerne erinnere. Einfach die Stille, Würde und Freundlichkeit eines Kirchenraumes in sich aufzunehmen – ich zehre jetzt noch davon.

Herzlicher Gruß

Gabriel Dessauer
Kantor an St. Bonifatius in Wiesbaden