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Gedanken zum Programm am 28. Mai 2022

Das heutige, schalenförmig aufgebaute Programm wird von Johann Sebastian Bachs Praeludium und Fuge C-Dur  umrahmt wie in einer Messe. Das Praeludium ist nur aus wenigen Motiven gefertigt und besticht durch Einheit in der Vielfalt. Das tänzerische, aufsteigende Tonleitermotiv im 9/8-Takt gab dem Praeludium auch den Vulgonamen „Himmelfahrtspräludium“. In der Fuge erklingt das eintaktige Thema 46 Mal und besticht durch die Vielfalt in der Einheit. Praeludium und Fuge bilden hier ein Werkpaar, das durch die ähnliche formale Dramatik einen groß angelegten Spannungsbogen bildet.

Im Zentrum erklingt Bachs „Pièce d’Orgue“, ein gleichsam kühnes wie einzigartig in seiner Form dastehendes Werk, das Bach als profunden Kenner der französischen Orgelmusik seiner Zeit ausweist. Die virtuosen Girlanden des ersten und die harmonische Kühnheit des letzten Teils scheinen durch den stylus phantasticus geprägt zu sein. Der 5-stimmige, recht ausgedehnte Mittelteil scheint sich an dem französischen Vorbild des homophonen Grand plein jeu (Großes Mixturenplenum) zu orientieren.

Dass Bach Kompositionen von Couperin und besonders dessen Verzierungstabellen schätzte, ist in den Französischen Suiten aus den 1720er Jahren erkennbar. Zelter und Goethe schrieben in ihrem Briefwechsel von „französischem Schaum“ und „deutschem Grundelement“. Von de Grigny, der oft auch der französische Bach genannt wird, hat Bach eine Abschrift von dessen Komposition „Veni creator“ gefertigt.

Von Messiaen erklingen zwei monumentale Orgelwerke, jeweils vom Beginn und Ende seines kompositorischen Schaffens. Die „Apparition“ schildert die Erscheinung der ewigen Kirche. Seinem Orgelwerk fügte Messiaen ein eigenes Gedicht hinzu: „Gebaut aus lebendigen Steinen, gebaut aus den Steinen des Himmels, erscheint sie am Firmament: Es ist die Braut des Lammes! Es ist die himmlische Kirche, gebaut aus den Steinen des Himmels, den Seelen der Auserwählten. Sie sind in Gott und Gott ist in ihnen für alle Ewigkeit des Himmels!“

Zu seinem Werk „Resurrection“ schreibt Messiaen: „Christus erhebt sich plötzlich, in der ganzen Kraft seiner Herrlichkeit, mit dem Fortissimo der Orgel und leuchtenden Akkorden, in denen alle Regenbogenfarben strahlen.“

Meine persönliche Affinität zur französischen Orgelmusik liegt auch darin begründet, dass ich Jean Langlais in Paris in der Schola Cantorum live hören und später auch kurz sprechen durfte. Sein „Gesang des Friedens“ aus dem Jahr 1942 ist einer Schülerin gewidmet, deren Charaktergleichmaß Langlais sehr bewunderte.

Zudem hatte ich die Gelegenheit während einer Samstagsmesse in Sacré-Coeur neben Naji Hakim auf der Orgelbank sitzen zu dürfen. 2016 durfte ich sein Werk „Adoration“ für Sopran, Flöte und Orgel uraufführen, das hier in der Lutherkirche seine zweite Aufführung erfuhr. „Aalaiki’ssalaam“ wurde durch die tragischen Ereignisse im Mittleren Osten und vor allem im Libanon im Sommer 2006 inspiriert. Es möchte ein Zeugnis von Frieden und Freude sein. Alaiki’ssalaam (Friede sei mit dir) ist eine maronitische marianische Melodie.

Boëly hat sich erkennbar mit den Bachschen Orgelwerken auseinandergesetzt. Der Inhalt des Chorals „Werde munter, mein Gemüte“ benutzt ebenso die Metapher des Abends wie das Erlebnis der Emmausjünger.

Als Meisterwerk der Choralbearbeitungen aus der Feder von Johann Sebastian Bachgelten die sog. Schübler-Choräle aus dem Jahre 1749. Der Choral „Ach bleib bei uns“ stammt aus der Kantate Nr. 6 „Bleib bei uns, denn es will Abend werden“ für den 2. Osterfesttag. Bach führte sie in Leipzig am 2. April 1725 zum ersten Mal auf. Die textliche Grundlage (vgl. EG 246) lieferte u.a. auch Philipp Melanchthon, der 1529 am Marburger Religionsgespräch teilnahm.

„Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ, weil es nun Abend worden ist,
dein göttlich Wort, das helle Licht, lass ja bei uns auslöschen nicht.

In dieser letzt’n betrübten Zeit verleih uns, Herr, Beständigkeit,
dass wir dein Wort und Sakrament rein b’halten bis an unser End.“

Jürgen Poggel, im Mai 2022

Konzert am 22. Februar 2020

Antonio Vivaldi (1678-1741)
Die vier Jahreszeiten (Le quattro stagioni)

Die von Antonio Vivaldi um das Jahr 1725 im Amsterdam herausgebrachten Konzerte mit dem Titel „Die vier Jahreszeiten!“ erfreuten sich beim Publikum von Anfang an größter Beliebtheit. Da in den Konzertsätzen außermusikalische Inhalte vertont werden, ist das Werk der sogenannten „Programmmusik“ zuzuordnen. Vivaldi bezeichnete die vier Konzerte op. 8/1-4 nicht nur in den Überschriften mit den vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter, sondern stellte den Werken jeweils Gedichte (Sonette) voran, die möglicherweise von ihm selbst stammen, und die das Verständnis der Musik erleichtern sollten. In der Umsetzung der außermusikalischen Inhalte zeigt sich der Komponist als Kenner der barocken Lehre von der musikalischen Rhetorik – ein Handwerk, dessen Beherrschung von jedem Komponisten dieser Zeit erwartet wurde.

Frühling

Der Frühling ist gekommen, und festlich
begrüßen ihn die Vögel mit fröhlichem Gesang.

Die Bäche fließen mit süßem Gemurmel
zu den leise wehenden Zephirwinden dahin.

Währen sich der Himmel in einem schwarzen Mantel hüllt,
nahen Donner und Blitze, den Frühling anzukündigen.

Der Gesang der Vögel, der zunächst verstummte,
hebt im wiedergewonnen Licht wieder an.

Und auf den lieblichen blühenden Wiesen
beim zarten Rauschen von Blättern und Pflanzen
schlummert der Hirte und sein treuer Hund Seite an Seite.

Zu festlichen Klägen des Dudelsacks
tanzen Nymphen und Hirten unterm Himmelszelt.

Strahlend ist der Frühling erschienen.

Sommer

Während der harten Jahreszeit der sengenden Sonne
ermatten Mensch und Tier, und die Pinien verdorren.

Der Kuckuck erhebt seine Stimme, und alsbald
stimmen Taube und Stieglitz mit ein.

Der Zephir weht sacht, doch überraschend
stellt sich ihm der Nordwind herausfordernd an die Seite.

Und der Hirte schreit auf, aufgeschreckt vom wilden Sturm
und dem drohenden Schicksal.

Aus den müden Gliedern flieht der Schlaf
in Furcht vor Blitz und Donner
und vor den wilden Schwärmen von Fliegen und Brummern.

Ach, wie wahr sind seine Befürchtungen,
es blitzt und donnert der Himmel,
und Hagel knickt die Ähren und das hohe Getreide.

Herbst

Mit Tanz und Gesang feiert der Bauer
die glücklich eingebrachte Ernte.

Viele sind vom Saft der Reben beschwingt,
und das Fest endet in süßem Schlummer.

So beendet die schmeichelnde milde Luft
das Treiben in Tanz und Gesang,
und die beginnende Jahreszeit
lädt ein zum süßen Schlaf.

Im Morgengrauen ziehen die Jäger zur Jagd
mit Hörnern, Flinten und Hunden.

Es flieht das Wild und sie folgen seiner Spur.

Vom Lärm der Gewehre und Hunde bereits verängstigt und erschöpft
versucht das verwundete Wild zu fliehen.

Doch es wird bezwungen und verendet.

Winter

Bei schimmerndem Schnee vor Erstarrung zittern,
bei Kälte und schrecklichem Wind laufen,
ständig mit den Füßen stampfend
und wegen der bitteren Kälte mit den Zähnen klappernd.

Zufriedene und ruhige Tage am Feuer verbringen,
während es draußen in Strömen regnet.

Auf dem Eise gehen mit langsamem Schritt,
vorsichtig auftretend aus Angst zu fallen.

Kräftig ausschreiten, ausrutschen, zu Boden fallen,
von neuem auf das Eis gehen und heftig losstürmen
bis das Eis kracht und bricht.

Durch die geschlossene Pforte das Pfeifen
des Schirokko, des Boreas und aller Winde hören, die miteinander ringen.

Das ist der Winter, aber welch Freude bringt er mit sich!